
INTERVIEW
mit Martin Valdés-Stauber, Beauftragter für Offene Gesellschaft in Kaufbeuren
Herr Valdés-Stauber, Sie haben sich in Kaufbeuren 2020 dazu entschieden anstelle eines Integrationsbeirats einen Beirat für Vielfalt und Offene Gesellschaft einzurichten. Was hat sie dazu veranlasst?
Martin Valdés-Stauber: Als Schüler wurde ich 2008 Mitglied im ersten Integrationsbeirat der Stadt Kaufbeuren. Der Wechsel von einem Ausländerbeirat hin zu einem steuernden Fachgremium war wichtig, um neue Impulse zu setzen. 2020 wurde ich erstmalig in den Stadtrat gewählt und Fraktionsvorsitzende anderer Parteien boten mir das Amt des „Integrationsbeauftragten” an – und ich willigte ein unter der Bedingung, das Amt, den zuständigen Beirat und die kommunale Strategie weiterentwickeln zu dürfen. Maßgebend für mein Konzept ist der Begriff der „Offenen Gesellschaft”, der unseren Selbstanspruch deutlich macht. Zugleich verweist der Name auf den Buchtitel von Karl Popper, der im zweiten Teil lautet “und seine Feinde”. Somit ist das Ideal der „Offenen Gesellschaft” nicht naiv, sondern verteidigt ein pluralistisches UND wehrhaftes Gemeinwesen.
Worin unterscheidet sich Ihre Arbeit von der anderer Integrationsbeiräte?
Martin Valdés-Stauber: Die Modalitäten der Wahl haben sich nicht geändert: Der Stadtrat ernennt die Mitglieder. Darunter Mitglieder aus den Fraktionen, zugewanderte Menschen, Fachexpert*innen, Vertreter*innen der Religionen und Zivilgesellschaft… der Schlüssel hat sich teilweise geändert, jedoch unter der Maßgabe, dass die Vertreter*innen migrantischer Gruppen strukturell in der Mehrheit sind. Vor allem hat sich die Arbeit weiterentwickelt: Es geht nun nicht mehr nur darum, Projekte anzustoßen und zu finanzieren, sondern auch als Wissensgremium zu arbeiten und Impulse in Richtung Stadtrat zu setzen. Die Inhalte sind viel breiter geworden: Es geht nicht nur um die Sichtbarkeit und Einbindung migrantischer Milieus und Fragen der Asyl- und Integrationsarbeit, sondern viel grundlegender um Dimensionen von Vielfalt in einer Offenen Gesellschaft. Zwei wichtige Beispiele: Unser Gremium unterstützt die PRIDE in Kaufbeuren und fördert die Erinnerungsarbeit. In diesen Bereichen wurde viel erreicht in den vergangenen Jahren. Darauf sind wir stolz.
Wo sehen Sie den Mehrwert eines Beirats für Vielfalt und Offene Gesellschaft?
Martin Valdés-Stauber: Die neuen Strukturen fördern ein Umdenken: Weg von Integration als defizitären, problembehafteten Prozess hin zu einer Zielvorstellung. Auch deshalb hat sich Kaufbeuren parteiübergreifend darum bemüht, als „Weltoffene Kommune” anerkannt zu werden. Mit dem Begriff „Vielfalt” erinnern wir daran, dass es verschiedenste Dimensionen zu beachten gibt – und dass jede zu spezifischen Formen des Ausschlusses und der Diskriminierung führen kann. Mit dem Begriff „Offene Gesellschaft” verdeutlichen wir, dass es nicht darum geht, dass „die Neuen” sich schlicht anpassen, sondern dass wir immerzu gemeinsam an unserem pluralistischen und freien Gemeinwesen weiterarbeiten müssen. Gerade auf kommunaler Ebene entscheidend: Wer sind wir und wie wollen wir GEMEINSAM sein?
Wie ist der Beirat in der Bevölkerung angenommen? Was haben Sie dafür getan?
Martin Valdés-Stauber: Entscheidend war der überparteiliche, einstimmige Zuspruch zu diesem Konzept. Ich bin überaus dankbar, dass dabei meiner Person das Vertrauen entgegengebracht wurde, diesen Prozess anzustoßen. Die Bevölkerung hat diese Arbeit nie in Zweifel gezogen, da wir mit Bedacht und im Bemühen um einen großen Grundkonsens stetig die Arbeit des Beirats und meines Amtes als Beauftragter weiterentwickeln. Gute Arbeit in der Sache, Verlässlichkeit und das Bemühen um breiten Konsens werden belohnt. Zurecht.
Rückblickend, aber auch perspektivisch. Wo stehen Sie gerade mit dem Beirat für Vielfalt und Offene Gesellschaft?
Martin Valdés-Stauber: Schon 2020 habe ich betont, dass wir vor der nächsten Kommunalwahl das Erreichte auswerten müssen. Der neue Stadtrat wird für die kommende Sitzungsperiode einen neuen Beirat berufen und zuvor besteht auch die Möglichkeit, die Geschäftsordnung zu verändern. Es geht um kleine Verbesserungen, die wir einarbeiten möchten. Viel wichtiger jedoch: Der Grundkonsens, den es 2020 bei der Schaffung dieses Gremiums gegeben hat, ist ein hohes Gut. Ich sehe meine Aufgabe darin, auch nach der Konstitution des neuen Stadtrats die Arbeit im Bereich „Offene Gesellschaft” auf breite Füße zu stellen, sodass die nötige Sacharbeit nicht nur Polarisierung beschädigt werden kann. Die Aufgaben einer aufnehmenden Kommune, Sprachangebote und die Einbettung von Neuankommenden in der Kommune sind einfach zu wichtig als dass wir uns ideologische Kämpfe leisten könnten. In Kaufbeuren haben wir zudem „Einbürgerungslots*innen” eingeführt, die als Schnittstelle zur Verwaltung eine wichtige Aufgabe übernehmen. Oder im Bereich Erinnerungskultur und dem antifaschistischem Grundkonsens… es wird immer genug zu tun geben!
Würden Sie anderen Kommunen empfehlen einen ähnlichen Weg zu gehen? Was sollte dabei berücksichtigt werden?
Martin Valdés-Stauber: Auf jeden Fall sollten solche Prozesse angestoßen werden. Vor allem aus zwei Gründen: Der Prozess selbst zwingt alle, eingefahrene Mechanismen in Frage zu stellen und auf bessere Ideen zu kommen bzw. Sachverstand walten zu lassen. Außerdem ist Sprache wirkmächtig und die positive Beschreibung einer Zielidee ein Gewinn. Was dabei berücksichtigt werden sollte? Einen solchen Prozess darf man nicht mit knapper Mehrheit durchdrücken. Es gilt, einen breiten Konsens zu erarbeiten. Das lohnt sich. Schließlich wollen wir ja GEMEINSAM Kommune gestalten.
Mehr Infos zum Beirat für Vielfalt und Offene Gesellschaft
Martin Valdés-Stauber ist seit 2020 Beauftragter für Offene Gesellschaft in Kaufbeuren. Einstimmig erhielt der SPD-Stadtrat den Auftrag durch den Kaufbeurer Stadtrat dieses Amt neu zu benennen und auszugestalten. Martin Valdés-Stauber ist Soziologe und Theatermacher. Nach dem Studium in München, Friedrichshafen, Berkeley und Cambridge arbeitete er zunächst an den Münchner Kammerspielen. Gegenwärtig arbeitet er an der Schaubühne Berlin sowie freiberuflich u.a. für das Jewish Chamber Orchestra Munich und die Fastenrede am Nockherberg.
Bildquelle: unsplash – quentin schulz